IMAGE db02.gif

157

8. Juli – Der hl. Prokopij von Lübeck, Wundertäter von Ustjug

die Glut und Hitze der Sonne. Nahrung erhielt er einwenig von einigen

gottesfürchtigen Leuten, aber nicht für alle Tage. Von Reichen aber und solchen, die

Unrecht taten, wollte er niemals etwas nehmen und verbrachte so häufig viele Tage

ohne Nahrung. So wurde er im Verlauf der Tage, Monate und Jahre, seinen Leib durch

Hunger, Durst und Schlaflosigkeit abtötend, ein Leben in Nacktheit und

Heimatlosigkeit verbringend, Verdruß, Schläge und Schelten widerspruchslos

erduldend, ein Märtyrer nach eigenem Willen, und lernte die ganze Welt für nichts zu

achten.

Um eines solchen Lebens willen nahm in ihm die Gnade Gottes Wohnung und schenkte

ihm die Gabe der Hellsichtigkeit, wie folgende Überlieferung beweist:

Als einmal Gott wegen der übergroßen Sünden der Menschen die Stadt, Ustjug durch

Blitz und Steinregen verzehren wollte, wie einst die Amoriter, die sich Josua

widersetzten, indem Er auf sie große Steine herabschüttete aus dem Himmel, also

wollte Er auch mit allen Christen tun, die nicht Buße tun wollten für ihre Sünden, die

gesetzlosen Bösen, die sich in Unrat und Schlamm wälzenden Gegener Jesu Christi, des

Sohnes Gottes, die Seinen Zorn reizen, gegen die Er sich aufmacht zur Rache als gegen

Seine Feinde, um sie zu verderben. So machte sich der Heilige Rächer auf gegen die

Stadt Ustjug, die Ihn erzürnt hatte, und bereitete für sie Tod und Verderben.

Der hl. Prokopij aber erkannte im Heiligen Geiste den Zorn Gottes, welcher Ustjug

drohte, und erschien rechtzeitig als Bußprophet, wie einst der Prophet Jonas in Ninive,

um Gottes Zorn ob der Sünden des Volkes anzuwenden. An einem der Wochentage,

als wie gewöhnlich in der Kathedralkirche der Gottesdienst begangen wurde, begann

der Selige die Leute zur Buße zu ermahnen und sprach: “Tut Buße, Brüder, für eure

Sünden, und versöhnet euch mit Gott durch Fasten und Gebet. Wenn nicht, wird euch

bald ein Steinhagel verderben. Denn der Zorn Gottes bricht herein.” Die Leute aber

nahmen die Rede nicht ernst sondern sprachen zu sich: “Dieser Mensch ist ohne

Verstand und spricht niemals etwas Verständliches:” Nach dem 33. Psalm aber trat der

Heilige in die Vorhalle, weinte und schluchzte ununterbrochen Tag und Nacht. Die

Vorbeigehenden aber sprachen zu ihm und fragten: “ Warum weinst du Narr, und

welcher Gram ist deinem Herzen widerfahren?” Diesen antwortete der Hochwürdige:

“Wachet Brüder und betet, daß ihr nicht ins Unglück fallet.” Sie aber verlachten ihn.

Nach drei Tagen trat er aus der Vorhalle heraus und ging in der ganzen Stadt umher,

allen Leuten predigend, unter Tränen und lautem Wehgeschrei, daß die Strafe Gottes

nahe herbeigekommen ist und sprach: “Tut Buße, ihr Menschen! Weint über eure

Sünden und betet, daß Gott der Herr Seinen Zorn abwende und nicht die Stadt wie

Sodom und Gomorra verdorben wird wegen des Übermaßes der Gottlosigkeit.” Die

Leute aber achteten, in der Verhärtung ihrer Herzen, nicht auf seine Predigt, sondern

schmähten ihn als einen Toren, schlugen seine Worte in den Wind, und strebten ihrer

gewohnten Verrichtung zu wie unreine Hunde aufs Aas. Der Selige aber kehrte zurück

zur Kathedralkirche zum Gebet. Sowar der Heilige allein in seinen inbrünstigen

Gebeten für alle und erwies sich als Vorbild für Buße, und betete zu Gott bei Tag und

Nacht mit ununterbrochenen Tränen. Nach sieben Tagen aber zog gegen Mittag über

die Stadt eine dunkle Wolke herauf. Im Nu verlor sich das Tageslicht und es ward

finster wie bei einer mond- und sternlosen Nacht. Da erschrak das Volk über dieses

ungewöhnliche Zeichen, da sich von allen Seiten schwarze Wolken sammelten, und den

IMAGE db02.gif

158

8. Juli – Der hl. Prokopij von Lübeck, Wundertäter von Ustjug

ganzen Himmel rundum bedeckten; wie feurige Kneuel entfuhren ihnen Blitze, und der

Donner rollte unheimlich am ganzen Firmament, keiner konnte den anderen mehr

verstehen; und die Erde unter ihren Füßen fing an zu schwanken. Das Gewölk aber

sammelte sich immer schwärzer und dunkler über der zitternden Stadt, die jeden

Augenblick den ausbrechenden Brand erwartete. Da erst begriff das Volk die Wahrheit

der Worte des vermeintlichen Irren, und alle stürzten mit Weib und Kindern zur

Kathedralkirche; Reiche und Krüppel, Freie und Knechte, auch Säuglinge mußten mit;

alle ohne Unterschied mußten mit, und baten die Geistlichen Bittgottesdienste

abzuhalten und den Akathist der Gottesmutter zu beten. Die Tränen des Volkes

benetzten den Boden der Kirche, die einen lauschten dem Gottesdienst, andere erhoben

ihre Blicke und Hände gen Himmel und wiederholten den Bußpsalm des königlichen

Propheten und andere Gebete. Alle baten die barmherzige Mutter Gottes um Fürbitte,

um Erbarmen Ihres Sohnes und Herrgottes und um Errettung aus dem

hereinbrechenden Unglück.

Da kam der selige Prokopij in die Kirche, fiel nieder vor der Ikone der Verkündigung

der hochwürdigsten Mutter Gottes und vergoß viele Tränen und betete, sie möchte

eine inständige Fürbitterin sein, bei Ihrem Sohn und Gott aller Menschen, die sich

versündigt und den Zorn Gottes auf sich gezogen haben. Wie einst Moses betete er zu

Gott und rief: “Vergib, o Herr, diesen Leuten ihre Sünden und, wo nicht, tilge auch

mich aus Deinem Buche darein Du geschrieben hast.”

Alsder hl. Prokopij und das Volk so in anhaltendem, flehentlichem Gebet zu Gott und

der hochwürdigsten Gottesmutter lagen, geschah ein großes Wunder an der Ikone der

Allerheiligsten Gottesgebärerin. Myron floß von ihrem Bilde herab, in solcher Fülle,

daß man alle kirchlichen Geräte mit diesem Öl füllte. Gleichzeitig aber schlug der Wind

zu dieser Stunde um, und die furchtbaren Wolken zogen mit Blitz und Donner ab in

wüste Gegenden, zwanzig Werst von der Stadt entfernt, wo es tatsächlich große,

brennende Steine regnete, die man noch heute dort, wie zur Warnung vor einer

leichtsinnigen Geisteshaltung, sehen kann, und die viele Wälder zerschlugen und

verbrannten. An Mensch und Vieh aber erschlugen sie niemand durch die Fürbitten der

Allerheiligsten Gottesmutter und durch die Gebete des hl. Prokopij. Mit dem duftenden

Myron aber, das von der Ikone der Gottesmutter herabgeflossen war, wurden die

Leute gesalbt, und viele, die an verschiedenen Gebresten litten und krank waren,

empfingen davon Genesung und Gesundheit; unter anderem wurden zwei besessenen

Frauen geheilt. Große Freude war in der Stadt über ihre wunderbare Errettung vom

sichtbaren Verderben und über den Segen des heilbringenden Myron, das sie durch das

Erbarmen der Allerheiligsten Gottesmutter empfangen hatten.

Der hl. Gottesknecht Prokopij aber führte weiterhin wie gewohnt sein Leben als Narr

und verbarg seine Tugend vor den Menschen.

Wie groß dabei die Gnade Gottes in ihm war geht aus folgendem hervor:

Schon im letzten Jahr des hl. Prokopij brach ein strenger Winter herein mit Frost und

heftigem Schneegestöber, welches zwei Wochen andauerte und sogar Stadthäuser

verschüttete. Nicht nur der Mensch konnte diese grausame Kälte nicht überstehen,

selbst Vögel erfroren und fielen tot auf die Erde. Viele Menschen und Tiere nicht nur

auf dem Land und auf den Straßen erfroren, sondern auch in der Stadt, und die meisten

Armen kamen in der Kälte um. Zu dieser Zeit erduldete auch der hl. Prokopij vom

IMAGE db02.gif

159

8. Juli – Der hl. Prokopij von Lübeck, Wundertäter von Ustjug

Winter an seinem nackten Leib alle Übel der bittersten Kälte. Da verließ er einmal,

nachts kleinmütig geworden, die Vorhalle der Kathedralkirche, und ging zu den

kleineren Hütten, die bei der Kathedralkirche standen, in denen Arme wohnten, um

sich bei ihnen ein wenig zu erwärmen. Die Armen aber, mochten ihn nicht aufnehmen,

sondern schlugen häufig die Tür vor ihm zu, wenn sie ihn gewarten, einige aber gingen

sogar mit Stöcken auf ihn los, und jagte ihn mit Geschrei von sich weg: “Geh´ hinweg

von hier, du Narr, geh´ weg!” Er aber ging fort von ihnen in ein leeres Haus hinein und

fand in einem Winkel Hunde liegen und legte sich zu ihnen, um sich ein wenig zu

erwärmen. Die Hunde aber standen auf und liefen vor ihm davon.

Als der Gottesknecht sah, wie nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere ihn

verabscheuten, sprach er bei sich. “Der Name des Herrn sei gepriesen, jetzt und von

Ewigkeit zu Ewigkeit.” Darauf kam ihm aus dem Herzen in den Sinn, da ihn Menschen

und Tiere verstoßen hatten sich also auf den Pfad der Erlösung zurück zu begeben und

sich zu den Kirchenstufen unter den Schutz der Gottesmutter zurückzubegeben. In den

Vorraum der Kirche zurückgekehrt, saß er dort zusammengekrümmt und am ganzen

Leib zitternd und verzweifelte an seinem Leben und wartete auf seinen letzten

Atemzug und betete, Gott möge seine Seele zu Sich nehmen. Da verspürte er plötzlich

Wärme in sich und schlug seine Augen auf und sah vor sich den Engel Gottes, der ihm

in solcher Gestalt erschien, wie er manchmal vor Zeiten in Konstantinopel dem hl.

Narren Andreas erschienen war, als er in einer ähnlichen Zeit bittersten Frostes am

Leben verzweifelte. Der Engel trug in seiner Hand einen Paradieszweig, mit roten und

weißen Blüten, und schaute den hl. Prokopij an und sagte: “Prokopij, wo bist du?”

Prokopij antwortete: “Ich bin im Finstern, im Schatten des Todes, in Eisen geschlagen.”

Doch der Jüngling berührte mit dem himmlischen Zweig das Antlitz des hl. Prokopij,

und sagte: ”So empfange nun Wiederbelebung deines Leibes und Erlösung von der

über dich gekommenen Erstarrung der Kälte.” Und mitten in der winterlichen Kälte

drang der Duft von Frühlingsblüten in die Seele des hl. Prokopij. Der erschienene

Jüngling leuchtete blitzartig auf und verschwand, doch das dem hl. Prokopij

wiedergegebene Lebensgefühl blieb in ihm, wie vormals beim hl. Andreas. So wurde

der hl. Prokopij in seinem bitteren Leiden durch die göttliche Barmherzigkeit bewahrt

und behütet und überstand die grimmige Kälte ohne Schaden. Als das zweiwöchige

Schneegestöber vorrüber war, kam der Diener Gottes einmal aus der Vorhalle und

begab sich in den nahe gelegenen Bauernhof zum Gottesknecht Simeon, dem künftigen

Vater des großen Stefan, des Bischofs von Perm. Mit freudigem Gesicht und

freundlichem Lächeln trat er ein; da staunte Simeon, als er den Narren in Christo

erblickte, da er vermutet hatte, daß er vor Kälte verstorben wäre, und schloß ihn

liebevol in die Arme. Sie setzten sich und begannen eine geistliche Unterhaltung.

“Warum hast du dich meiner gegrämt, mein Bruder?” , sagte der Heilige. “Und warum

trauerst du jetzt? Verzage nicht, bereite das Mahl, damit wir uns gemeinsam daran

laben können.” Freude bemächtigte sich Simeons über dieses unverhoffte Anerbieten

und bis das Mahl gerichtet wurde, fragteder Heilige: “Sage mir aufrichtig, mein lieber

Bruder, hast du dich arg um mich den Wanderer gegrämt, im Glauben, daß ich durch

den grausamen Frost umgekommen sei? Was wäre dann aus meinen Brüdern, den

Armen geworden? Gott ist mit denen die ihn lieben, bei denen, die gebrochenen

Herzens sind und mit Seinem Heiligen Geist bei den Friedfertigen. Liebst du mich auch

IMAGE db02.gif

160

8. Juli – Der hl. Prokopij von Lübeck, Wundertäter von Ustjug

weiter so, wird deiner Seele viel Trost wiederfahren, doch traure auch dann nicht mir

nach, denn groß pflegt die Freude eines Menschen zu sein, dessen ganze Seele mit

Kummer erfüllt ist, und der mit ganzem Herzen seine Hoffnung auf Gott setzt, von

Ewigkeit zu Ewigkeit.” Da verstand der so belehrte Simeon, den verborgenen Sinn

seiner Rede, daß etwas Wunderbares mit ihm während der strengen Kältezeit sich

ereignet hatte, und er gab ihm einen Kuß und forschte mit freundschaftlichen Worten

nach den Leiden des Heiligen während des Unwettters, beim lebendigen Gott ihn

beschwörend, nichts zu verschweigen, wo er während der bitteren Kälte seinen

Aufenthalt hatte, um ihm die Gnade Gottes nicht zu verheimlichen: “Wie konnte ein

ungeschützter Körper so viele Tage und Nächte so ein Unwetter ertragen?” Mit einem

Seuftzer aus der Tiefe seines Herzens antwortete der demütige Prokopij : “Welch

Gewinn versprichst du dir, mein Bruder, von mir unreinem Gottesnarren, der

herumliegt auf Fäulnis im Gestank seiner Sünden. Doch deine gewaltige Liebe

veranlaßt mich, dir mein Geheimnis zu bekennen. Ich beschwöre dich aber im Namen

Gottes des Vaters, unseres Erlösers Jesu Christi und im Namen des Heiligen Geistes, so

lange ich am Leben bin, nichts zu eröffnen, um deiner Liebe willen was ich dir kundtun

werde.” Simeon schwor das Geheimnis zu wahren, und der Diener Gottes öffnete seine

Lippen und erzählte das weiter oben bereits wiedergegebene.

Der Gerechte Gottes empfand nicht von ungefähr ein geistiges Band zum frommen

Simeon, er erkannte mit seinem prophetischen Blick die Nachkommen, die von ihm

entspringen werden; doch nicht ihm eröffnete er dies freudige Geheimnis, sondern der,

die noch in der Kindheit vorbestimmt war, im Bunde mit Simeon dem großen Stephan

das Leben zu geben. Erst drei Jahre zählte die selige Maria, die Tochter eines

Kleinbürgers von Welikij- Ustjug. Einst passierte sie die Kathedralkirche Entschlafen

Mariens mit ihren Eltern, während des Abendamtes, als sich viel Volk um das

Gotteshaus, dem Gottesdienst lauschend, scharte. Da trat Prokopij hervor, neigte sich

tief bis zum Boden vor dem Mägdlein und sagte vernehmlich: “Seht meine Tochter, die

Mutter unseres großen Vaters und Lehrers Stephan, des Bischofs von Perm.”

Da wunderten sich viele verständige Leute, die dies hörten, und sprachen staunend bei

sich: “Ob wohl in Perm ein Bischof ist?” Zu dieser Zeit nämlich war die Gegend von

Perm noch nicht vom heiligen Glauben erleuchtet, und es befand sich da noch kein

einziger Christ, sondern alle waren dort von Götzendienst verwirrt bis zu dem Tag des

hl. Stephen, der von diesem Mädchen geboren wurde, als es das notwendige Alter

erreicht hatte und mit dem zuvor erwähnten Simeon vermählt wurde. Der in Christo

Armselige, pflegte, wenn er betend durch die Gegend wanderte, drei Feuerhaken zu

tragen und es bemerkten im geistlichen Leben Erfahrene, daß wenn diese Feuerhaken

vorwärtsgestreckt waren, eine reiche Ernte zu erwarten war, aber richtete er diese nach

oben, verkümmerteGetreide und alle Erdfrucht. Oft kam der fromme Prokopij ans

Ufer des Flusses Sochona, lies sich dort auf einen Stein nieder und blickte auf die, die auf

ihren kleinen Kähnen an ihm vorbeiglitten und bat Gott, er möge ihnen eine ruhige

Fahrt geben. Er gewann den Ort um den Stein auf dem er zu rasten Pflegte so lieb, daß

er die Vorbeigehenden inbrünstig bat: “Legt meine Gebeine zu ihrer letzten Ruhe an

diesem Ort nieder, und setzt den Stein, auf dem ich jetzt raste, auf mein Grab und der

Herr wird euch Gnade wiederfahren lassen am Tage des Jüngsten Gerichtes. Darauf

kehrte er wieder zur Kathedralkirche zurück, um am Abendgottesdienst teilzunehmen.